Ludwig Bechstein
Deutsches Märchenbuch, 1847
Die drei Federn
Einem Mann wurde ein Söhnlein geboren, und da der Vater ausging, einen Paten zu suchen, der das Kind aus der Taufe hebe, so fand er einen jungen und wunderschönen Knaben, gegen den sein Herz gleich ganz voll Liebe wurde. Und als er ihm nun seine Bitte vortrug, war der schöne Knabe gern bereit mitzugehen, und das Kind zu heben, und hinterließ ein junges weißes Roß als Pathengeschenk. Dieser Knabe ist aber Niemand anders gewesen, als Jesus Christus, unser Herr.
Der junge Knabe, welcher in der Taufe den Namen Heinrich empfangen hatte, wuchs zu seines Vaters und seiner Mutter Freude, und wie er die Jünglingsjahre erreicht halte, da hielt es ihn nicht mehr daheim, sondern es zog ihn in die Ferne, nach Thaten und Abenteuern. Nahm daher Urlaub von seinen Aeltern, setzte sich auf sein gesatteltes Rößlein, das ihm der unbekannte Knabe zum Pathengeschenk gegeben, obschon er nicht wußte, wie viel dieses Rößlein werth war, und ritt frisch und fröhlich darauf in die Welt hinein. Da ritt er eines Tages durch einen Wald, und siehe, da lag hart am Wege eine schöne Feder aus dem Rad eines Pfauen, und die Sonne schien auf die Feder, daß ihre bunten Farben in ihrem Glanze prächtig leuchteten. Der junge Knabe hielt sein Rößlein an, und wollte absteigen, um die Feder aufzuheben, und sie an seinen Hut zu stecken. Da that das Rößlein sein Maul auf, und sprach: "Ach laß die Feder auf dem Grunde liegen!" Deß verwunderte sich der junge Reiter, daß das Rößlein sprechen konnte, und es kam ihm ein Schauer an; blieb im Sattel, stieg nicht ab, hob die Feder nicht auf, ritt weiter. Nach einer Zeit geschah es, daß der Knabe am Ufer eines Bächleins hinritt, siehe, da lag eine bunte, feine, viel schönere Feder auf dem grünen Gras, als jene war, die im Walde gelegen hatte, und des Knaben Herz verlangte nach ihr, seinen Hut damit zu schmücken; denn dergleichen Pracht von einer Feder hatte er all sein Lebtag noch nicht gesehen. Aber wie er absteigen wollte, so sprach das Rößlein abermals: "Ach laß die Feder auf dem Grunde." Und wieder verwunderte sich der Knabe über alle Maaßen, daß das Rößlein sprach, während es doch sonst nicht redete, folgte ihm auch diesesmal, blieb im Sattel, stieg nicht ab, hob die Feder nicht auf, ritt weiter.
Nun währte es nur eine kleine Zeit, da kam der Knabe an einen hohen Berg, wollte da hinauf reiten, da lag an seinem Fuße im Wiesengrunde wieder eine Feder, das war nach seinem Vermeinen aber die allerschönste in der ganzen weiten Welt, und die mußte er haben. Sie glänzte und funkelte, wie lauter blaue und grüne Edelgesteine, oder wie die hellen Tautropfen in der Morgensonne. Aber wiederum sprach das Rößlein: "Ach laß die Feder auf dem Grunde!" Diesesmal vermochte der Jüngling aber dem Rößlein nicht zu gehorchen, und wollte seinen Rath nicht hören, denn es gelüstete ihm allzusehr nach dem lieblichen und stattlichen Schmuck. Er stieg ab, hob die Feder vom Grunde und steckte sie auf seinen Hut. Da sprach das Rößlein: "O weh, was thust Du Dir zum Schaden? Es wird Dich wohl noch reuen!" Weiter sprach es nichts. Wie der Jüngling weiter ritt, so kam er an eine stattliche und wohlgebaute Stadt, da sah er viel geschmückte Bürgersleute, und es kam ihm ein feiner Zug entgegen mit Pfeifern, Paukern und Trompetern, und vielen wehenden Fahnen, und das war prächtig anzusehen. Und in dem Zuge gingen Jungfrauen, die streuten Blumen, und die vier schönsten trugen auf einem Kissen eine Königskrone. Und die Aeltesten der Stadt reichten die Krone dem Jüngling und sprachen: "Heil Dir, Du uns von Gott gesandter edler Jüngling! Du sollst unser König sein! Gelobt sei Gott der Herr in alle Ewigkeit!" Und alles Volk schrie: "Heil unserm König!" Der Jüngling wußte nicht wie ihm geschehen, als er auf seinem Haupt die Königskrone fühlte, kniete nieder und lobte Gott und den Heiland. Hätte er die erste Feder aufgehoben, so wär er ein Graf geworden; die zweite: ein Herzog, und hätte er die dritte Feder nicht aufgehoben, so hätte er auf dem Bergesgipfel eine vierte gefunden, und das Rößlein hätte dann gesprochen: "Diese Feder nimm vom Grunde." Dann wär er ein mächtiger Kaiser geworden über viele Reiche der Welt, und die Sonne wäre nicht untergegangen in seinen Landen. Doch war er auch so zufrieden, und ward ein gütiger, weiser, gerechter und frommer König.
Ludwig Bechstein (1801-1860)