Ludwig Bechstein
Deutsches Märchenbuch, 1847

Die drei Bräute


Es war einmal ein Müller, der hatte drei schöne Töchter von aufgeweckter Gemütsart; die jüngste aber war die verständigste unter ihnen. Einst waren sie in der Stadt gewesen und kehrten nun zu ihrer Mühle zurück. Unterwegs plauderten sie dies und das, und die eine sprach: "Wenn wir nur nicht so streng gehalten würden, so hätten wir auch Liebhaber und der meinige hätte mir gewiß auch ein so schönes seidnes Halstuch gekauft, wie die Margarethe von ihrem Liebsten geschenkt bekam."-"Ja," sagte die Andere darauf "und der meinige hätte mich gewiß zu Tanze geführt, wie es die Mädchen alle von ihren Burschen wurden." Die dritte sprach nichts; das Leid ihrer Schwestern schien ihr wenig zu Herzen zu gehen. Ehe sie sichs aber versahen, war ein hübscher Mann bei ihnen, der sprach sie freundlich an und kramte allerlei kleine Geschenke aus, die er unter sie vertheilte; die Mädchen nahmen sie erröthend an und nachdem er ihnen noch versprochen, sie bei ihrem Vater wieder zu sehen, ging er seines Wegs. Die Mädchen tauschten nun ihre Bemerkungen und Muthmaßungen über ihn aus, darin aber waren alle einig, daß er ein hübscher liebenswerther Mann sei. Der Müller schüttelte den Kopf, als sie ihm ihr Abenteuer erzählten, aber noch mehr erstaunte er, als der Fremde eines Tags in der Mühle erschien, den Müller bei Seite nahm und ihn um die Hand einer seiner Töchter bat. Die beiden Männer hielten eine lange Zwiesprache, deren Resultat war, daß der Müller dem Freier die Wahl unter seinen Töchtern freistellte. Der Fremde wählte sich die Aelteste; Kisten und Kasten wurden gepackt und die junge Braut zog mildem Bräutigam nach dessen weit entlegenem Schlosse. Hier war alles aufs Beste eingerichtet und der jungen Braut blieb kein Wunsch unerfüllt. Da sprach er eines Tages zu ihr: "Du sollst Herrin meines Schlosses sein, wenn ich Dich in allen Stücken gehorsam erfunden habe. Dieses weiße Tuch binde um Deinen Leib, es ist ein Ei darin; und hier hast Du die Schlüssel zu allen Gemächern meines Schlosses, Du darfst in alle gehen, nur in das Eine nicht, zu dem dieser große Schlüssel paßt. Ich verreise; wenn ich zurückkomme und finde, daß Du gehorsam gewesen bist, so will ich als mein treues Weib auf den Händen tragen, wo nicht, so wirst Du einen schlimmen Mann an mir finden." Als er abgereist war, ging die junge Frau mit der Serviette, dem Ei und den Schlüsseln im Hause umher, schloß alle Thüren auf und sah sich in den Zimmern um; endlich in einem abgelegenen Theil des Schlosses kam sie an eine Thür, zu welcher der große Schlüssel paßte. Sie dachte an das Verbot ihres Mannes, aber die Neugier siegte, schon hatte sie den Schlüssel im Schloß umgedreht, die Thür knarrte, sie trat über die Schwelle, ließ aber das Ei vor Schreck aus der Serviette fallen und floh. Als der Mann zurück kam, sah er denn gleich, was geschehen war und gab der Ungehorsamen trotz ihres Flehens den Tod. Darauf ging er zum Müller, klagte ihm, daß ihm seine Frau an einer kurzen, aber unheilbaren Krankheit gestorben und bat ihn um die Hand seiner zweiten Tochter. Der Müller versagte ihm diese nicht und so zog der Fremde abermals mit einem jungen Weibe auf sein Schloß. Aber es begab sich mit dieser nicht anders als mit der ersten und der Fremde erschien wieder beim Müller und sagte, die junge Frau sei mit einem seiner Bedienten davon gelaufen, und bat ihn um die dritte Tochter. Der Müller war zwar sehr betrübt, daß er all seine Kinder verlieren sollte, willigte aber endlich doch ein. Als sie mit ihrem Manne nun aufs Schloß gekommen, gab er ihr dieselbe Prüfung auf wie ihren Schwestern. Sie war aber klüger als diese und dachte: Ei, was sollst Du Dich mit dem Ei schleppen? Sie ließ das Ei und die Serviette deshalb in ihrer Kammer zurück und besichtigte das Schloß. Auch sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, die verbotene Thür zu öffnen und als sie über die Schwelle trat, sah sie mit Entsetzen, eine Reihe von Leichen und die letzten waren ihre beiden Schwestern. Sogleich dachte sie daran, den Bösewicht zur Strafe zu ziehen, aber sie wußte auch, daß sie es listig anzufangen habe. Sie nahm den abgeschnittenen Kopf ihrer zuletzt ermordeten Schwester, schloß sorgfältig die Thür wieder zu, verbarg den Kopf in einer Blumenscherbe, schüttete Erde darauf und pflanzte eine Hyacinthe hinein. Ihren zurückkehrenden Mann empfing sie freundlich und als er sah, daß das Ei unverletzt war, war er zärtlich gegen sie und pries ihren Gehorsam.
So war einige Zeit vergangen, da bat sie ihn, er möge sie doch zu ihrem Vater begleiten, der unruhig über ihr Schicksal sein werde. Er konnte ihr diesen Wunsch nicht abschlagen und so fuhren sie in einem prächtigen Wagen nach der Mühle; die herrlich aufgeblühte Hyacinthe hatte sie mitgenommen. Der Müller freute sich sehr, als er seine Tochter wohlbehalten und anscheinend glücklich wieder sah, diese aber konnte keinen Augenblick gewinnen, mit dem Vater allein zu sein; überall bewachte sie ihr Mann, sei es zufällig oder weil ihm das böse Gewissen eine Ahnung eingab. Da schrieb sie ein kleines Briefchen, um es dem Vater zuzustecken und als sie eben nachsann, auf welche Weise, flog ein Rabe auf ihre Schulter, der sang ihr ins Ohr:

"Gieb, gieb, gieb!
Wir fangen den Dieb!"

Der Rabe nahm das Briefchen in seinen Schnabel und flog zum Müller; dieser las es mit Entsetzen und sandte in die nahe Stadt nach den Dienern der Gerechtigkeit und ehe eines Morgens der Fremde sich noch den Schlaf aus den Augen gerieben, sah er sich ergriffen und gefesselt. Sein Leugnen half nichts; als man die Hyacinthe aus dem Topfe riß, sah man das halb vermoderte Haupt der gemordeten Müllerstochter, das der Müller noch an seinen schönen braunen Flechten erkannte. Das Raubschloß wurde zerstört und der Mörder zur Strafe für seine Verbrechen hingerichtet.
Der Hingerichtete hatte aber noch Spießgesellen, die den Tod ihres Hauptmanns zu rächen beschlossen. Als einst die unglückliche junge Wittwe zufällig unter ihr Bett griff, fühlte sie einen behaarten Gegenstand; sie erschrak, denn sie wußte wohl, daß es der Kopf eines Mannes war, that aber, als hielt sie ihn für die Katze, indem sie rief: "Bist Du wieder da, Katze? Nun heute magst Du noch da bleiben; daß Du mir aber Deine Jungen nicht aufs Bette trägst!" Sie machte sich noch eine Weile zu schaffen, ging dann zur Thür hinaus und entdeckte das Geheimniß ihrem Vater; der rief die Mühlknappen zusammen; das Haus ward durchsucht und man fand die Spießgesellen des hingerichteten Räubers in verschiedenen Räumen des Hauses versteckt. Sie wurden alle dem Gericht überliefert. Die junge Frau hatte nun zwar fürder Ruhe, aber sie konnte den Mann nicht vergessen, der ein Mörder gewesen war und den sie doch geliebt hatte. Sie trauerte bis an ihr Lebensende und der greise Vater sah sie noch vor sich zur Grube sinken.

Ludwig Bechstein (1801-1860)