Ludwig Bechstein
Deutsches Märchenbuch, 1847

Die dankbaren Tiere


Es reiste einst ein Pilger über Land, der kam auf seinem Wege durch den Wald an eine Wolfsgrube, und nahm wahr, daß etwas Lebendiges darin sei. Und wie er hinunter blickte, so sah er darin einen Menschen, der war ein Goldschmied, und bei ihm war ein Affe, eine Schlange und eine Ringelnatter; die waren alle drei unversehens in die Grube gefallen. Da gedachte der Pilger bei sich: Uebe Barmherzigkeit mit den Elenden, und hilf den Menschen von seinen Feinden. Da warf er ein Seil in die Grube, und hielt das eine Ende fest in der Hand, Willens, den Goldschmied heraufzuziehen, schnell sprang aber der Affe zu, kletterte herauf und sprang aus der Grube. Zum andern Mal warf der Waller das Seil hinab, da ringelte sich die Natter daran empor. Und zum dritten Mal erfaßte die Schlange das Seil, und kam auch zu Tage. Diese drei Thiere dankten dem Waller für seine Güte, und sprachen zu ihm: "Was Du uns Gutes gethan, das wollen wir Dir wieder zu vergelten suchen, und wann Dich dein Weg in unsre Nähe trägt, so magst Du auf uns rechnen, daß wir nach Kräften Dir zu Diensten sind; sei aber treulich gewarnt vor dem Menschen da drunten, denn nichts was da lebt, ist so undankbar, wie er. Dieses haben wir erfahren und sagen es Dir an, daß Du wissest, Dich zu verhalten!"
Damit schieden die drei Thiere von dem Pilger, dieser aber gedachte an seine Pflicht, daß dem Menschen zieme dem Menschen zu helfen, und warf das Seil wiederum in die Grube, und zog den Goldschmied heraus. Dieser bedankte sich mit vielen Worten für die Gnade und Barmherzigkeit, die der Pilger an ihm gethan, und bat, ihn ja in der Königsresidenz, wo er wohne, zu besuchen, und verließ ihn.
Auf seinem Weiterwege kam der Waller in die Nähe der Residenz und an den Ort, wo der Affe, die Natter und die Schlange wohnten. Die freuten sich, und der Affe brachte dem Waller, der sehr ermattet war, Obst und süße Feigen, die Natter zeigte ihm eine kühle, angenehme Grotte, wo er ruhen und rasten konnte, und legte sich davor, und bewachte seinen Schlaf, denn Niemand wagte sich dorthin, wo die große Natter lag. Die Schlange aber schlüpfte in die Königsburg und stahl dort einige güldne Kleinode, die gab sie dem Waller zur Verehrung, sagte ihm aber nicht, woher sie dieselben hatte. Als dieser von den Thieren aufbrach, ging er in die Königsstadt und suchte den Goldschmied auf; dem zeigte er die Kleinode und bot sie ihm zum Kauf an. Der Goldschmied sahs, daß sie des Königs Eigenthum waren, schwieg still, ging zum König und zeigte an, daß er den Dieb dieser Kleinode in seinem Hause gefangen habe. Dafür empfing er eine stattliche Belohnung, und der König sandte seine Häscher, die fingen den Waller, schlugen ihn, führten ihn durch die Straßen und hinaus zum Galgen, um ihn zu henken. Da gedachte der Mann auf dem Wege an die Warnung der Tiere und seufzte laut: "O hätte ich euern Rath befolgt, ihr getreuen Thiere, so wäre diese Trübsal mir nicht beschieden worden!"
Nun hatte die Schlange just ihre Wohnung an dem Weg, der zum Hochgericht führte, und hörte die Klagerede des unschuldigen Mannes, an dessen Unglück sie mit Schuld war, und betrübte sich und dachte darauf, wie sie ihm helfe. Da nun der Königssohn, ein junger Knabe auch des Wegs geführt ward, damit er des Diebes Strafe zusehe, kroch sie hin und biß ihn in das Bein, daß es alsbald aufschwoll. Da blieb alles Volk erschrocken stehen, und man sandte eiligst nach Aerzten und nach Astrologen, wo möglich zu helfen. Die Aerzte brachten Theriak herbei, eine Arznei, die gepriesen war gegen den Schlangenbiß, er half jedoch nichts. Die Astrologen aber lasen in den Sternen, daß der zum Tode geführte Waller unschuldig war, und der Königsknabe rief selbst mit heller Stimme: "Bringt mir den Pilger her, daß dieser seine Hand auf meine Wunde und meine Geschwulst lege, so werde ich heil sein ! "
Da wurde der Pilger vor dem König geführt, der fragte nach seinen Schicksalen, und der Pilger erzählte dem König alles treulich, von den guten dankbaren Thieren und des Goldschmieds, den er vom Tod errettet, schändlichem Undank. Und dann hob er Hände und Augen zum Himmel und flehte: "O allmächtiger Gott, so wahr es ist, daß ich unschuldig bin an dem Diebstahl, so wahr wird Deine Hand diese Menschen heilen!" - Und da wurde von Stund an der Königssohn gesund. Als das der König sah, ward sein Herz froh und freudevoll, und er ehrte den Pilger mit köstlichen Gaben, ließ ihm auch alle Kleinode, um derentwillen der Pilger Todesangst ausgestanden hatte, und ließ zur Stelle den Goldschmied henken, zur Strafe seines großen und schwarzen Undanks.

Ludwig Bechstein (1801-1860)