Ludwig Bechstein
Deutsches Märchenbuch, 1847

Staar und Badewännelein


Vor einem Wirtshaus im Walde hielt ein junger stattlicher Reitersmann, da trat eine feine Maid aus der Thüre, grüßte ihn züchtig, und fragte, was er begehre. Da heischte er einen Becher kühlen Weins, den brachte ihm die Jungfrau. Der Reitersmann trank aber nicht eher, bis die Maid mit ihren rothen Lippen von dem Weine genippt und den Trunk ihm kredenzt hatte. Während er nun trank, trat die Wirthin aus der Thüre, ein häßliches Weib von brauner Gesichtsfarbe und widrigem Ansehen. Die fragte der Reitersmann: "Holla, Frau Wirthin! Ihr habt fürwahr ein feines Töchterlein! Nicht also? "Nein, Herr!" antwortete die Wirthin: "diese Dirne da ist nicht meine Tochter, sie ist nur meine angenommene Magd, hat nicht Aeltern und Heimath mehr. Habe sie angenommen aus Barmherzigkeit!"
Der Reitersmann fühlte Liebe zu der schönen Maid, stieg ab von Roß, begehrte ein Nachtquartier, und daß ihm die Magd ein Fußbad rüste, weil er gern mehr mit ihr reden wollte. Die Wirthin gebot der Magd, in den Garten zu gehen, und Rosmarin, Thymian und Majoran für das Bad zu pflücken. Dieß that sie gern und freudig, ging und brach die Kräuter, da flog ein Staar auf ein Sträuchelein neben ihr und der sang und sprach: O weh Du Braut! Du sollst dem Junker die Füße zwagen in dem Badewännelein, darin Du hieher getragen worden! Dein Vater ist vor Herzeleid gestorben, und Deine Mutter hat sich schier um Dich zu Tod gegrämt!

O weh Du Braut, Du Findelkind!
Weißt nicht, wer Dein Vater und Mutter sind!

Da erschrak die fromme Maid und grämte sich, rüstete das Bad unter Thränen in dem kleinen Wännelein, und trug's hinauf in die Stube, wo der junge Ritter ihrer harrte. Als der sie weinen sah, fragte er: "Warum weinest Du, Schönste? Willst Du nicht lieber mit mir fröhlich sein?"
"Wie kann ich mit Euch fröhlich sein?" fragte sie weinend zurück. "Ich weine über das, was mir der Staar sang, da ich drunten im Garten die Kräuter pflückte in Euer Bad. Der Staar, der sang: O weh Du Braut! Du sollst dem Junker die Füße zwagen in dem Badewännelein, darin Du hergetragen bist. ' Dein Vater ist vor Herzeleid gestorben, und Deine Mutter hat sich schier um Dich zu Tod gegrämt.

O weh Du Braut, Du Findelkind!
Weißt nicht, wer Dein Vater und Mutter sind!"

Da betrachtete der Herr das Badewännelein, und sah daran das Wappen des Königs am Rhein, verwunderte sich über alle Maaßen und rief: "Das ist meines Vaters Wappenschild? Wie kömmt dieß Wännlein in dieß schlechte Wirthshaus?"
Da schlug ein Vogel draußen an das Fenster, das war wieder der Staar, der sang: In dem Badewännelein ist sie hergetragen!

O weh Du Braut, Du Findelkind!
Weißt nicht, wer Dein Vater und Mutter sind!

Jetzt sah der junge Herr am Hals der Maid ein Muttermal, und rief freudig aus: "Grüß Dich Gott, Du Schönste! Du bist meine liebe Schwester! Dein Vater war der König am Rhein! Christine heißt Deine Mutter! Konrad heiße ich, Dein Zwillingsbruder bin ich. Darum empfand mein Herz nach Dir, gleich als ich Dich zum ersten sah, solch ein heftiges Verlangen!"
Da fielen sie einander um den Hals und weinten beide, knieeten nieder und dankten Gott, und sprachen liebreich miteinander die ganze Nacht. Wie nun der Morgen graute, rief die Wirthin vor der Thür mit lauter Stimme und voll Hohn: "Steh auf, steh auf, Du junge Braut, und kehre Deiner Frauen die Stube aus!" Da antwortete aber die Stimme Herrn Konrads: "Weder ist sie eine junge Braut, noch kehrt sie der Wirthin ihre Stube aus! Bringet uns nur selbst den Morgenwein!" Als die Wirthin mit dem Morgenwein hereingetreten war, fragte sie Herr Konrad: "Von Wem und von wannen habt Ihr diese edle Jungfrau? Sie ist ei- nes Königs Tochter und meine Schwester!"
Die Wirthin ward weiß wie eine Wand und fiel zitternd auf ihre Kniee, brachte aber kein Wort hervor, des es auch nicht bedürfte, denn der Staar war schon wieder am Fenster, und verrieth der Wirthin böse That, indem er sang: In einem Lustgarten im grünen Gras saß ein zartes Kind in einem Badewännelein, und wie die Wärterin nur einen Augenblick zur Seite gegangen war, da kam die böse Zigeunerin und trug das Kind sammt dem Wännelein von dannen!
Darüber wurde Herr Konrad so entrüstet, daß er das Schwert zuckte, und es der Wirthin durch die Ohren spießte, zu einem hinein, zum andern heraus. Dann küßte er züchtiglich seine allerschönste Schwester, nahm das Badewännelein, führte sie an ihrer schneeweißen Hand aus dem Hause, hob sie auf den Sattel und sie mußte das Wännlein vor sich auf dem Schoos tragen. Auf ihre Schulter setzte sich der Staar. So ritten sie vor das Königsschloß am Rhein, darin die Mutter, die Königin, herrschte, und als sie in das Thor einritten, kam ihnen die Mutter gerade entgegen gegangen. Die fragte verwundert: "Ach mein liebster Sohn! Was für eine Dirne bringst Du da herein? Sie führt ja ein Badewännlein mit sich, als ob sie mit einem Kinde ginge!"
"O meine liebste Mutter!" antwortete der junge Königssohn: "sie ist drum keine Dirne, sondern ist Eure Tochter Gertraud, die in diesem Wännelein Euch geraubt wurde!" Und da stieg die Prinzessin aus dem Sattel, die Königin aber fiel vor Freuden in eine Ohnmacht, aus der sie in den Armen ihrer Kinder wiedererwachte. Der Staar sang: Heut sind es gerade achtzehn Jahre, seit die Königstochter geraubt und in dem Wännelein über den Rhein getragen worden ist! Das sang der Staar, und auch noch dieß:

Der Zigeunerin thun die Ohren so weh,
Sie wird keine Kinder stehlen mehr!

Die Prinzessin aber ließ einen Goldschmied berufen, der mußte ein goldnes Gitterlein vor das Badewännlein schmieden, da hinein that sie den Staar und pflegte sein, bis an sein Ende.

Ludwig Bechstein (1801-1860)