Ludwig Bechstein
Deutsches Märchenbuch, 1847

Von zwei Affen


"Ein alter Affe lebte an einem fruchtbaren Ort, wo Bäume und Früchte, Wasser und Weiden im Ueberfluß vorhanden waren. Da er nur immer im Wohlleben war, so bekam er in seinem Alter die Raute, und war damit sehr geplagt, wurde mager und kraftlos, so daß er seine Speise nicht mehr recht erlangen konnte. Da kam ein andrer Affe zu ihm, und fragte ihn verwundert: "Ei, wie kommt es, daß ich Dich so krank und abgezehrt sehen muß ?" - "Ach!" seufzte der alte Affe, "ich weiß keine andere Ursache, als den Willen Gottes, dem Niemand zu entfliehen vermag." Darauf sprach jener: "Ich kannte einen Freund, der trug dasselbe Siechthum, und es half ihm nichts, als das Haupt einer schwarzen Natter. Als er das aß, so genas er, das solltest Du auch thun!" - Ihm entgegnete der alte Affe: "Wer giebt mir ein solches Natterhaupt, da ich so schwach bin, kaum eine Frucht vom Baum zu erlangen?" Darauf versetzte jener: "Vor zwei Tagen sah ich vor einer Höhle in einem hohen Felsen einen Mann stehen, der lauerte auf die schwarze Natter, die in der Höhle lag, und wollte ihr die Zunge ausziehen, weil er einer solchen Zunge bedürftig war; da will ich Dich hinbringen. Hat der Mann die Natter getödtet, so nimmst Du das Haupt und issest es." - Der alte Affe sprach: "Ich bin siech und krank, werde ich wieder gesund und stark, so will ich Dir gern Deinen Dienst vergelten." Da führte jener Affe den alten in die Felsenhöhle, darin er einen Drachen wohnen wußte. Vor der Höhle waren große Fußtritte, wie eines Menschen, der alte Affe dachte, die habe der Mann zurückgelassen, der die Natter getödtet, kroch hinein und suchte das Haupt. Da zuckte der Drache hervor und erwürgte den alten Affen und fraß ihn. Der junge aber freute sich, daß er seinen Gesellen verlockt und betrogen hatte, und nun im alleinigen Besitz der schönen Fruchtbäume war."
Als Vogel Holgott seinem Weibchen dieß erzählt hatte, fügte er noch hinzu: "Dieß sage ich der Lehre halber, die darinnen liegt: Es soll kein Vernünftiger sein Leben wagen auf einen thörichten und betrüglichen Rath hin." Aber das Weibchen sprach: "Ich habe Dich recht wohl verstanden, allein hier ist es doch ein ganz andrer Fall, denn die Fische, die ich meine, sind ohne Gefahr zu holen, und werden unsern Jungen sehr dienlich sein."
Als Vogel Holgott sahe, daß verständige Ueberredung bei seiner Frau nicht anschlage, so gab er nach: "Kannst Du es nicht lassen, so hole die Fische; bewahre Dich aber, daß Du Niemandem weder das eine, noch das andre Geheimniß vertrauest, denn also lehren die Weisen: Löblich ist jeder Vernunft Uebung, aber die größte Vernunft beweist der, der sein Geheimniß begräbt, also daß es Keiner zu finden vermag." Darauf flog das Weibchen fort und auf der Stelle zu seinem lieben Freund Mosam, und theilte ihm alles mit, was sein Mann im Sinn hatte, und daß er an einen lustigen Ort ziehen wolle, wo weder von Thieren noch von Menschen etwas zu fürchten sei. Und sprach: "Möchtest Du, o Freund, einen Fund finden, daß auch Du dorthin kommen könntest, doch mit Wissen und Willen meines Mannes, denn soll mir etwas Gutes widerfahren, so hab ich keine Freude ohne Dich." Darauf erwiederte Vogel Mosam: "Warum sollte ich gezwungen sein, nur mit Bewilligung Deines Mannes dort zu weilen ? Wer giebt ihm solche Gewalt an die Hand über mich und Andre? Wer verbietet mir, auch dorthin zu ziehen? Zur Stunde will ich hinfliegen, und dort mein Nest bauen, da es so eine genügliche Stätte ist. Und wird Dein Mann kommen und mich vertreiben wollen, so werde ich ihm das wohl zu wehren wissen, und ihm sagen, daß weder er noch seine Vorfahren dort seßhaft waren und er also nicht mehr Recht an jener Gegend hat, als ich und Andere." Da erwiederte das Weibchen: "Du hast nicht Unrecht, aber ich wünschte doch Deine Gegenwart dort in der Voraussetzung, daß allewege Friede und Eintracht unter uns sei. Gehst Du gegen meines Mannes Willen dorthin, so haben wir Argwohn und üble Nachrede zu gewärtigen , und unsre Freundschaft wird sich in Trauer verkehren. Mein Rath ist dieser: Du gehst zu meinem Manne, läßt ihn nicht wissen, daß wir uns gesprochen, und sagst zu ihm, (ehe ich zurück bin) Du habest jene sehr schöne Gegend gefunden, und Dir vorgenommen, dorthin zu ziehen, so wird er Dir erwiedern, daß er auch zuvor schon diese Stätte entdeckt habe, und entschlossen sei, hinzuziehen; dann sprichst Du: O Freund Holgott, so bist Du der Erste, und jener Stätte würdiger denn ich, aber ich bitte Dich, laß mich bei Dir wohnen, so will ich Dir dort ein treuer Freund und Gefährte sein."
Diesen Rath befolgte Vogel Mosam und flog eiligst zu Vogel Holgott hin, während das Weibchen an den ersten besten Teich flog und zwei Fische fing, und heim trug, als seien das die heilsamen Wunderfische, und da sie Mosam bei ihrem Manne fand, stellte sie sich, als habe sie ihn lange nicht gesehen. Mosam war im Gespräch mit Holgott, wie sie wieder kam, und Vogel Holgott erwiederte auf den Antrag, daß ihm Mosams Gesellschaft wohlgefällig sei. Das Weibchen aber stellte sich, als wäre ihr ihres Mannes Nachgiebigkeit gegen ihren Freund nicht lieb, damit er ihre Verrätherei nicht merke, und sagte: "Wir haben doch jene Stätte für uns allein erwählt, und ich besorge, wird Vogel Mosam mit uns ziehen, so folgen seine vielen Freunde auch nach, und zuletzt müssen wir weichen vor ihrer Ueberzahl." Darauf entgegnete ihr Mann: "Du hast Recht; aber ich vertraue Mosam, und hoffe, mit seinem Beistand werden wir uns der Zudringlinge erwehren, darum ist es vielleicht gut, daß dieser Freund bei uns wohne. Niemand vertraue allzuviel der eigenen Kraft und der eigenen Macht. Wir sind zwar mit die stärksten unter den Vögeln, aber Hülfe dienet dem Schwachen, zu überwinden den Starken, wie die Katzen den Wolf überwanden." "Wie war das?" fragte Holgott's Weibchen, und er erzählte ihr:

Ludwig Bechstein (1801-1860)