Hans Christian Andersen
Sämmtliche Märchen, 1862

Ole Luk-Oie


Es gibt Niemanden in der ganzen weiten Welt, der so viele Geschichten weiß, als Ole Luk-Oie. - Der kann gehörig erzählen!
So gegen Abend hin, wenn die Kinder noch so nett am Tische oder auf ihrem Schemel sitzen, kommt Ole Luk-Oie. Er kommt sachte die Treppe herauf, denn er geht auf Socken; er macht ganz leise die Thüren auf, und husch! da spritzt er den Kindern süße Milch in die Augen hinein, und das so fein, so fein, aber doch immer genug, sodaß sie die Augen nicht aufhalten und ihn deshalb auch nicht sehen können. Er schleicht sich gerade hinter sie, bläst ihnen sachte in den Nacken, und davon werden sie schwer im Kopf. O ja! aber es thut nicht weh, denn Ole Luk-Oie meint es gerade gut mit den Kindern; er will nur, daß sie ruhig sein sollen, und das sind sie am ersten, wenn man sie zu Bette gebracht hat; sie sollen stille sein, damit er ihnen Geschichten erzählen kann. -
Wenn die Kinder dann schlafen, setzt sich Ole Luk-Oie auf ihr Bett. Er ist gut gekleidet; sein Rock ist von Seidenzeug, aber es ist unmöglich, zu sagen, von welcher Farbe, denn er glänzt grün, roth und blau, jenachdem er sich wendet. Unter jedem Arme hält er einen Regenschirm; den einen, mit Bildern darauf, spannt er über die guten Kinder aus, und dann träumen sie die ganze Nacht die herrlichsten Geschichten; aber einen andern Schirm hat er, wo durchaus nichts darauf ist; den stellt er über die unartigen Kinder, dann schlafen sie so dumm und haben am Morgen, wenn sie erwachen, nicht das Allergeringste geträumt.
Nun werden wir hören, wie Ole Luk-Oie an jedem Abend in einer ganzen Woche zu einem kleinen Knaben kam, welcher Hjalmar hieß, und was er ihm erzählte. Es sind sieben Geschichten, denn es sind sieben Tage in der Woche

Montag

"Höre ein Mal!" sagte Ole Luk-Oie am Abend, als er Hjalmar zu Bette gebracht hatte; "nun werde ich aufputzen!" Und da wurden alle Blumen in den Blumentöpfen zu großen Bäumen, welche ihre langen Zweige unter der Zimmerdecke und längs den Wänden ausstreckten, sodaß die ganze Stube wie ein prächtiges Lusthaus aussah; und alle Zweige waren voller Blumen, und jede Blume war noch schöner, als eine Rose, duftete so lieblich, und wollte man sie essen, so war sie noch süßer, als Eingemachtes! Die Früchte glänzten wie Gold, und es waren da Kuchen, die vor lauter Rosinen platzten. Es war unvergleichlich schön! Aber zu gleicher Zeit ertönte ein schreckliches Jammern aus dem Tischkasten her, wo Hjalmar's Schulbücher lagen.
"Was ist nur das?" sagte Ole Luk-Oie und ging hin nach dem Tische und zog den Kasten auf. Es war die Schiefertafel, in der es riß und wühlte, denn es war eine falsche Zahl in das Rechenexempel gekommen, sodaß es nahe daran war, auseinander zu fallen; der Griffel hüpfte und sprang an seinem Bande, gerade als ob er ein kleiner Hund wäre, der dem Rechenexempel helfen möchte; aber er konnte es nicht! - Und dann jammerte es auch in Hjalmar's Schreibebuch; o, es war ordentlich häßlich mit anzuhören! Auf jedem Blatte standen der Länge nach herunter die großen Buchstaben, ein jeder mit einem kleinen zur Seite: das war eine Vorschrift; und neben diesen standen wieder einige Buchstaben, welche eben so auszusehen glaubten, und diese hatte Hjalmar geschrieben; sie lagen aber fast gerade so, als ob sie über die Bleifederstriche gefallen wären, auf denen sie stehen sollten.
"Seht, so solltet Ihr Euch halten!" sagte die Vorschrift. "Seht, so schräg geneigt, mit einem kräftigen Schwung!"
"O, wir möchten gern," sagten Hjalmar's Buchstaben; "aber wir können nicht; wir sind so jämmerlich!"
"Dann müßt Ihr einnehmen!" sagte Ole Luk-Oie.
"O nein!" riefen sie, und da standen sie so schlank, daß es eine Lust war!
"Ja, nun können wir keine Geschichten erzählen!" sagte Ole Luk-Oie; "nun muß ich sie exerciren! Eins, zwei! Eins, zwei!" und so exercirte er die Buchstaben: und sie standen ganz schlank und so schön, wie nur eine Vorschrift stehen kann. Aber als Ole Luk-Oie ging und Hjalmar sie am Morgen besah, da waren sie eben so jämmerlich, wie früher.

Dienstag

Sobald Hjalmar zu Bette war, berührte Ole Luk-Oie mit seiner kleinen Zauberspritze alle Möbeln in der Stube, und sogleich fingen die an zu plaudern, und allesammt sprachen sie von sich selbst, mit Ausnahme des Spucknapfes, welcher stumm dastand und sich darüber ärgerte, daß sie so eitel sein könnten, nur von sich selbst zu reden, nur an sich selbst zu denken und durchaus keine Rücksicht auf Den zu nehmen, der doch so bescheiden in der Ecke stand und sich bespucken ließ.
Ueber der Kommode hing ein großes Gemälde in einem vergoldeten Rahmen, das war eine Landschaft; man sah darauf große, alte Bäume, Blumen im Grase und einen breiten Fluß, welcher um den Wald herumfloß, an vielen Schlössern vorbei, und weit hinaus in das wilde Meer.
Ole Luk-Oie berührte mit seiner Zauberspritze das Gemälde, und da begannen die Vögel darauf zu singen, die Baumzweige bewegten sich und die Wolken zogen ordentlich weiter; man konnte ihren Schatten über die Landschaft hingleiten sehen.
Nun hob Ole Luk-Oie den kleinen Hjalmar zu dem Rahmen empor und stellte seine Füße in das Gemälde, gerade in das hohe Gras, und da stand er; die Sonne beschien ihn durch die Zweige der Bäume. Er lief hin zum Wasser und setzte sich in ein kleines Boot, welches dort lag; es war roth und weiß angestrichen, die Segel glänzten wie Silber, und sechs Schwäne, alle mit Goldkronen um den Hals und einem strahlenden blauen Stern auf dem Kopfe, zogen das Boot an dem grünen Walde vorbei, wo die Bäume von Räubern und Hexen und die Blumen von den niedlichen kleinen Elfen und von Dem, was die Schmetterlinge ihnen gesagt hatten, erzählten.
Die herrlichsten Fische, mit Schuppen wie Silber und Gold, schwammen dem Boote nach; mitunter machten sie einen Sprung, sodaß es im Wasser plätscherte, und Vögel, roth und blau, klein und groß, flogen in zwei langen Reihen hinterher; die Mücken tanzten und die Maikäfer sagten: "Bum! Bum!" Sie wollten Hjalmar Alle folgen, und sie Alle hatten eine Geschichte zu erzählen.
Das war eine Lustfahrt! Bald waren die Wälder so dicht und so dunkel, bald waren sie wie der herrlichste Garten mit Sonnenschein und Blumen; und da lagen große Schlösser von Glas und von Marmor; auf den Altanen standen Prinzessinnen, und diese waren Alle kleine Mädchen, die Hjalmar gut kannte; er hatte früher mit ihnen gespielt. Sie streckten jede die Hand aus und hielten das niedlichste Zuckerherz hin, welches je eine Kuchenfrau verkaufen konnte; und Hjalmar faßte die eine Seite des Zuckerherzens an, indem er vorbeifuhr, und die Prinzessin hielt recht fest, und so bekam Jeder ein Stück: sie das kleinste, Hjalmar das allergrößte. Bei jedem Schlosse standen kleine Prinzen Schildwache; sie schulterten mit Goldsäbeln und ließen Rosinen und Zinnsoldaten regnen; das sah man ihnen an, daß es ächte Prinzen waren!
Bald segelte Hjalmar durch Wälder, bald durch große Säle, oder mitten durch eine Stadt; er kam auch durch die, in welcher sein Kindermädchen wohnte, welches ihn getragen hatte, da er noch ein ganz kleiner Knabe war, und das ihm immer so gut gewesen; und sie nickte und winkte und sang den niedlichen kleinen Vers, den sie selbst gedichtet und Hjalmar gesandt hatte:
Ich denke Deiner so manches Mal,
Mein teurer Hjalmar, Du Lieber!
Ich gab Dir Küsse ja ohne Zahl
Auf Stirne, Mund, Augenlider.
Ich hörte Dich lallen das erste Wort,
Doch mußt' ich Dir Abschied sagen.
Es segne der Herr Dich an jedem Ort,
Du Engel, den ich getragen!
Und alle Vögel sangen mit, die Blumen tanzten auf den Stielen und die alten Bäume nickten, gerade als ob Ole Luk-Oie ihnen auch Geschichten erzählte.

Mittwoch

Nein, wie strömte der Regen draußen hernieder! Hjalmar konnte es im Schlafe hören; und da Ole Luk-Oie ein Fenster öffnete, stand das Wasser gerade herauf bis an das Fensterbrett; es war ein ganzer See da draußen, aber das prächtigste Schiff lag dicht am Hause.
"Willst Du mitsegeln, kleiner Hjalmar?" fragte Ole Luk- Oie, "so kannst Du diese Nacht nach fremden Ländern gelangen und morgen wieder hier sein!" -
Und da stand Hjalmar plötzlich in seinen Sonntagskleidern mitten auf dem prächtigen Schiffe, und sogleich wurde das Wetter schön, und sie segelten durch die Straßen, kreuzten um die Kirche, und nun war Alles eine große, wilde See. Sie segelten so lange, bis kein Land mehr zu erblicken war, und sie sahen einen Flug Störche, die kamen auch aus der Heimath und wollten nach den warmen Ländern; ein Storch flog immer hinter dem andern, und sie waren schon so weit, so weit geflogen! Einer von ihnen war so ermüdet, daß seine Flügel ihn kaum noch zu tragen vermochten; es war der allerletzte in der Reihe, und bald blieb er ein großes Stück zurück; zuletzt sank er mit ausgebreiteten Flügeln tiefer und tiefer; er machte noch ein paar Schläge mit den Schwingen, aber es half nichts; nun berührte er mit seinen Füßen das Tauwerk des Schiffes, nun glitt er vom Segel herab, und bums! da stand er auf dem Verdecke.
Nun nahm der Schiffsjunge ihn und setzte ihn in das Hühnerhaus, zu den Hühnern, Enten und Truthähnen; der arme Storch stand ganz befangen mitten unter ihnen.
"Sieh den Kerl an!" sagten alle Hühner.
Und der kalekutische Hahn blies sich so dick auf, wie er konnte, und fragte, wer er wäre; und die Enten gingen rückwärts und pufften einander: "Rappel Dich! Rappel Dich!"
Und der Storch erzählte vom warmen Afrika, von den Pyramiden und vom Strauße, der einem wilden Pferde gleich die Wüste durchlaufe; aber die Enten verstanden nicht, was er sagte, und dann pufften sie einander: "Wir sind doch wohl Alle derselben Meinung, nämlich, daß er dumm ist?"
"Ja, sicher ist er dumm!" sagte der Truthahn, und dann kollerte er. Da schwieg der Storch ganz stille und dachte an sein Afrika.
"Das sind ja herrliche dünne Beine, die Ihr habt!" sagte der Kalekute. "Was kostet die Elle davon?"
"Skrat, skrat, skrat!" grinsten alle Enten; aber der Storch that, als ob er es gar nicht höre.
"Ihr könnt immer mitlachen," sagte der Kalekute zu ihm; "denn es war sehr witzig gesagt! Oder war es Euch vielleicht zu hoch? Ach, ach! er ist nicht vielseitig! Wir wollen interessant unter uns selbst bleiben!" Und dann kluckte er, und die Enten schnatterten: "Gik, gak! Gik, gak!" Es war erschrecklich, wie sie sich selbst belustigten.
Aber Hjalmar ging nach dem Hühnerhause, öffnete die Türe, rief den Storch, und der hüpfte zu ihm heraus auf das Verdeck. Nun hatte er ja ausgeruht, und es war gleichsam, als ob er Hjalmar zunicke, um ihm zu danken. Darauf entfaltete er seine Schwingen und flog nach den warmen Ländern; aber die Hühner kluckten, die Enten schnatterten und der kalekutische Hahn wurde ganz feuerroth im Kopfe.
"Morgen werden wir Suppe von Euch kochen!" sagte Hjalmar, und damit erwachte er und lag in seinem kleinen Bette. Es war doch eine sonderbare Reise, die Ole Luk-Oie ihn diese Nacht hatte machen lassen

Donnerstag

"Weißt Du was?" sagte Ole Luk-Oie. "Werde nur nicht furchtsam! Hier wirst Du eine kleine Maus sehen!" Und dann hielt er ihm seine Hand hin, mit dem leichten, niedlichen Thiere in derselben. "Sie ist gekommen, um Dich zur Hochzeit einzuladen. Hier sind diese Nacht zwei kleine Mäuse, die in den Stand der Ehe treten wollen. Sie wohnen unter Deiner Mutter Speisekammerfußboden: das soll eine schöne Wohnung sein!"
"Aber wie kann ich durch das kleine Mäuseloch im Fußboden kommen?" fragte Hjalmar.
"Da laß mich nur sorgen!" sagte Ole Luk-Oie. "Ich werde Dich schon klein machen!" Und nun berührte er Hjalmar mit seiner Zauberspritze, worauf dieser sogleich kleiner und kleiner wurde; zuletzt war er keinen Finger lang. "Nun kannst Du Dir die Kleider des Zinnsoldaten leihen; ich denke, sie werden Dir passen, und es sieht so gut aus, Uniform anzuhaben, wenn man in Gesellschaft ist!"
"Ja freilich!" sagte Hjalmar, und da war er im Augenblick wie der niedlichste Zinnsoldat angekleidet.
"Wollen Sie nicht so gut sein und sich in Ihrer Mutter Fingerhut setzen," sagte die kleine Maus; "dann werde ich die Ehre haben, Sie zu ziehen!"
"Gott, wollen sich das Fräulein selbst bemühen!" sagte Hjalmar; und so fuhren sie zur Mäusehochzeit.
Zuerst kamen sie unter dem Fußboden in einen langen Gang, der gar nicht höher war, als daß sie gerade mit dem Fingerhut dort fahren konnten; und der ganze Gang war mit faulem Holze illuminirt.
"Riecht es hier nicht herrlich?" fragte die Maus, die ihn zog. Der ganze Gang ist mit Speckschwarten geschmiert worden! Es kann nichts Schöneres geben!"
Nun kamen sie in den Brautsaal hinein. Hier standen zur Rechten alle kleinen Mäusedamen; und die wisperten und pisperten, als ob sie einander zum Besten hätten. Zur Linken standen alle Mäuseherren und strichen sich mit der Pfote den Schnauzbart; mitten in dem Saale aber sah man das Brautpaar; die standen in einer ausgehöhlten Käserinde und küßten sich gar erschrecklich viel vor Aller Augen, denn sie waren ja Verlobte und sollten nun gleich Hochzeit halten.
Es kamen immer mehr und mehr Fremde; die eine Maus war nahe daran, die andere todt zu treten, und das Brautpaar hatte sich mitten in die Thüre gestellt, sodaß man weder hinaus noch herein gelangen konnte. Die Stube war eben so wie der Gang mit Speckschwarten eingeschmiert; das war die ganze Bewirthung; aber zum Dessert wurde eine Erbse vorgezeigt, in die eine Maus aus der Familie den Namen des Brautpaares eingebissen hatte, das heißt: den ersten Buchstaben. Das war etwas ganz Außerordentliches!
Alle Mäuse sagten, daß es eine schöne Hochzeit sei, und daß die Unterhaltung sehr angenehm gewesen wäre.
Und dann fuhr Hjalmar wieder nach Hause; er war wahrlich in vornehmer Gesellschaft gewesen, aber er hatte auch ordentlich zusammenkriechen, sich klein machen und Zinnsoldatenuniform anziehen müssen.

Freitag

"Es ist unglaublich, wie viele ältere Leute es gibt, die mich gar zu gern haben möchten!" sagte Ole Luk-Oie. "Es sind besonders Die, welche etwas Böses verübt haben. ""Guter, kleiner Ole,"" sagen sie zu mir; ""wir können die Augen nicht schließen, und so liegen wir die ganze Nacht und sehen alle unsere bösen Thaten, die wie häßliche kleine Kobolde auf der Bettstelle sitzen und uns mit heißem Wasser bespritzen; möchtest Du doch kommen und sie fortjagen, damit wir einen guten Schlaf bekämen;"" und dann seufzen sie so tief; ""wir möchten es wahrlich gern bezahlen; gute Nacht, Ole! das Geld liegt im Fenster!"" "Aber ich thue es nicht für Geld," sagte Ole Luk-Oie.
"Was wollen wir nun diese Nacht vornehmen?" fragte Hjalmar.
"Ja, ich weiß nicht, ob Du diese Nacht wieder Lust hast, zur Hochzeit zu gehen; es ist eine andere Art, als die gestrige war. Deiner Schwester große Puppe, die, welche wie ein Mann aussieht und Herrmann genannt wird, will sich mit der Puppe Bertha verheirathen. Es ist obendrein der Puppe Geburtstag, und deshalb werden sie sehr viele Geschenke bekommen!"
"Ja, das kenne ich schon," sagte Hjalmar. "Immer wenn die Puppen neue Kleider brauchen, dann läßt meine Schwester sie ihren Geburtstag feiern oder Hochzeit halten; das ist sicher schon hundert Mal geschehen!"
"Ja, aber in dieser Nacht ist es die hundert und erste Hochzeit, und wenn hundert und eins aus ist, dann ist Alles vorbei! Deshalb wird auch diese so beispiellos schön. Sieh nur einmal!"
Und Hjalmar sah nach dem Tische. Da stand das kleine Papphaus mit Licht in den Fenstern, und draußen davor präsentirten alle Zinnsoldaten das Gewehr. Das Brautpaar saß ganz gedankenvoll, wozu es wohl Ursache hatte, auf dem Fußboden, und lehnte sich gegen das Tischbein. Aber Ole Luk-Oie, in der Großmutter schwarzen Rock gekleidet, traute sie. Als die Trauung vorbei war, stimmten alle Möbel in der Stube folgenden schönen Gesang an, welcher von der Bleifeder geschrieben war; er ging nach der Melodie des Zapfenstreiches.

Das Lied ertöne, wie der Wind;
Dem Brautpaar Hoch! das sich verbind't;
Sie prangen Beide steif und blind,
Da sie von Handschuhleder sind!
:,:Hurrah, Hurrah! ob taub und blind,
Wir singen es in Wetter und Wind!:,:

Und nun bekamen sie Geschenke; aber sie hatten sich alle Speisewaren verbeten, denn sie hatten an ihrer Liebe genug.
"Wollen wir nun eine Sommerwohnung beziehen oder auf Reisen gehen?" fragte der Bräutigam. Und da wurde die Schwalbe, die so viel gereist war, und die alte Hofhenne, welche fünf Mal Küchlein ausgebrütet hatte, zu Rathe gezogen. Und die Schwalbe erzählte von den herrlichen warmen Ländern, wo die Weintrauben so groß und schwer hingen, wo die Luft so mild sei und die Berge Farben hätten, wie man sie hier gar nicht an denselben kenne!
"Sie haben doch nicht unsern Braunkohl!" sagte die Henne. "Ich war einen Sommer lang mit allen meinen Küchlein auf dem Lande; da war eine Sandgrube, in der wir umhergehen und kratzen konnten; und dann hatten wir Zutritt zu einem Garten mit Braunkohl! O, wie war der herrlich! Ich kann mir nichts Schöneres denken."
"Aber der eine Kohlstrunk sieht gerade so aus, als der andere," sagte die Schwalbe; "und dann ist hier so oft schlechtes Wetter!"
"Ja, daran ist man gewöhnt!" sagte die Henne.
"Aber hier ist es kalt, und es friert!"
"Das ist gut für den Kohl!" sagte die Henne. "Übrigens können wir es auch warm haben! Hatten wir nicht vor vier Jahren einen Sommer, der fünf Wochen lang währte; es war hier so heiß, man konnte nicht athmen! Und dann haben wir nicht alle die giftigen Thiere, die sie dort haben! Und wir sind von Räubern frei! Der ist ein Bösewicht, der nicht findet, daß unser Land das schönste ist! Er verdient wahrlich nicht, hier zu sein!" Und dann weinte die Henne und fuhr fort: "Ich bin auch gereist! Ich bin in einer Bütte über zwölf Meilen gefahren! Es ist durchaus kein Vergnügen beim Reisen!"
"Ja, die Henne ist eine vernünftige Frau!" sagte die Puppe Bertha. "Ich halte auch nichts davon, Berge zu bereisen, denn das geht nur hinauf und dann wieder herunter! Nein, wir wollen hinaus vors Thor in die Sandgrube ziehen und im Kohlgarten spazieren!"
Und dabei blieb es.

Sonnabend

"Bekomme ich nun Geschichten zu hören?" fragte der kleine Hjalmar, sobald Ole Luk-Oie ihn in den Schlaf gebracht hatte.
"Diesen Abend haben wir nicht Zeit dazu," sagte Ole Luk-Oie und spannte seinen schönsten Regenschirm über ihm auf. "Betrachte nun diese Chinesen!" Und der ganze Regenschirm sah aus, wie eine große chinesische Schaale mit blauen Bäumen und spitzen Brücken und mit kleinen Chinesen darauf, die dastanden und mit dem Kopfe nickten. "Wir müssen die ganze Welt zu morgen schön aufgeputzt haben," sagte Ole Luk-Oie; "es ist ja dann ein Feiertag, es ist Sonntag. Ich will nach den Kirchthürmen hin, um zu sehen, ob die kleinen Kirchenkobolde die Glocken poliren, damit sie hübsch klingen; ich will hinaus auf das Feld und sehen, ob die Winde den Staub von Gras und Blättern blasen; und was die größte Arbeit ist, ich will alle Sterne herunterholen, um sie zu poliren. Ich nehme sie in meine Schürze; aber erst muß ein jeder numerirt werden, und die Löcher, worin sie da oben sitzen, müssen auch numerirt werden, damit sie wieder auf den rechten Fleck kommen können, sonst würden sie nicht festsitzen, und wir bekämen zu viele Sternschnuppen, indem der eine nach dem andern herunterpurzeln würde!"
"Hören Sie, wissen Sie was, Herr Luk-Oie!" sagte ein altes Portrait, welches an der Wand hing, wo Hjalmar schlief; "ich bin Hjalmar's Urgroßvater; ich danke Ihnen, daß Sie dem Knaben Geschichten erzählen, aber Sie müssen seine Begriffe nicht verdrehen. Die Sterne können nicht heruntergenommen und polirt werden! Die Sterne sind Weltkugeln, eben so wie unsere Erde, und das ist gerade das Gute an ihnen."
"Ich danke Dir, Du alter Urgroßvater!" sagte Ole Luk- Oie; "ich danke Dir! Du bist ja das Haupt der Familie; Du bist das Urhaupt; aber ich bin doch älter, als Du! Ich bin ein alter Heide; Römer und Griechen nannten mich den Traumgott! Ich bin in die vornehmsten Häuser gekommen und komme noch dahin! Ich weiß sowohl mit Geringen, wie mit Großen umzugehen! Nun kannst Du erzählen!" - Und da ging Ole Luk-Oie und nahm seinen Regenschirm mit.
"Nun! Nun! Man darf wohl gar seine Meinung nicht mehr sagen!" brummte das alte Portrait.
Und da erwachte Hjalmar.

Sonntag

"Guten Abend!" sagte Ole Luk-Oie, und Hjalmar nickte und sprang dann hin und kehrte das Portrait des Urgroßvaters gegen die Wand um, damit es nicht, wie gestern, mit hineinsprechen möchte.
"Nun mußt Du mir Geschichten erzählen: von den fünf grünen Erbsen, die in einer Schote wohnten, und von dem Hahnenfuß, der dem Hühnerfuße den Hof machte, und von der Stopfnadel, die so vornehm that, daß sie sich einbildete, eine Nähnadel zu sein!"
"Man kann auch des Guten zu viel bekommen!" sagte Ole Luk-Oie. "Du weißt doch wohl, daß ich Dir am liebsten etwas zeige! Ich will Dir meinen Bruder zeigen. Er heißt auch Ole Luk-Oie, aber er kommt zu Niemand öfter, als einmal, und zu wem er kommt, den nimmt er mit auf seinem Pferde und erzählt ihm Geschichten. Er kennt nur zwei; die eine ist so außerordentlich schön, daß Niemand in der Welt sie sich denken kann, und die andere ist so häßlich und gräulich - es ist gar nicht zu beschreiben!" Und dann hob Ole Luk-Oie den kleinen Hjalmar zum Fenster hinauf und sagte: "Da wirst Du meinen Bruder sehen, den andern Ole Luk-Oie! Sie nennen ihn auch den Tod! Siehst Du, er sieht gar nicht so schlimm aus, wie in den Bilderbüchern, wo er nur ein Knochengerippe ist! Nein, das ist Silberstickerei, die er auf dem Kleide hat; das ist die schönste Husarenuniform; ein Mantel von schwarzem Sammet fliegt hinten über das Pferd! Sieh', wie er im Galopp reitet."
Und Hjalmar sah, wie dieser Ole Luk-Oie davonritt und sowohl junge wie alte Leute auf sein Pferd nahm; Einige setzte er vorn, Andere hinten auf, aber immer fragte er erst: "Wie steht es mit dem Censurbuch?"
"Gut!" sagten sie allesammt.
"Ja, laß mich selbst sehen!" sagte er; und dann mußten sie ihm das Buch zeigen; und alle Die, welche "Sehr gut" und "Ausgezeichnet gut" hatten, kamen vorne aufs Pferd und bekamen die herrliche Geschichte zu hören; Die aber, welche "Ziemlich gut" und "Mittelmäßig" hatten, mußten hinten auf, und bekamen die gräuliche Geschichte; sie zitterten und weinten, sie wollten vom Pferde springen, konnten es aber nicht, denn sie waren sogleich daran fest gewachsen.
"Aber der Tod ist ja der prächtigste Ole Luk-Oie!" sagte Hjalmar. "Vor ihm bin ich nicht bange!"
"Das sollst Du auch nicht!" sagte Ole Luk-Oie. "Sieh nur zu, daß Du ein gutes Zensurbuch hast!"
"Ja, das ist lehrreich!" murmelte des Urgroßvaters Portrait. "Es hilft doch, wenn man seine Meinung sagt!" Und nun gab er sich zufrieden.
Sieh, das ist die Geschichte vom Ole Luk-Oie; nun mag er Dir selbst diesen Abend mehr erzählen!

Hans Christian Andersen (1805-1875)