Hans Christian Andersen
Sämmtliche Märchen, 1862
Der Springer
Der Floh, die Heuschrecke und der Springbock wollten einmal sehen, wer von ihnen am höchsten springen könnte; und da luden sie die ganze Welt ein und wer sonst noch kommen wollte, die Pracht mit anzusehen. Und es waren drei tüchtige Springer, die sich im Zimmer versammelten.
"Ja, ich gebe meine Tochter Dem, der am höchsten springt!" sagte der König. "Denn es wäre zu ärmlich, wenn diese Personen umsonst springen sollten."
Der Floh kam zuerst vor; er hatte so niedliche Manieren und grüßte nach allen Seiten, denn er hatte Fräuleinblut in den Adern und war gewohnt, nur mit Menschen umzugehen; und das macht sehr viel aus.
Dann kam die Heuschrecke; die war freilich bedeutend schwerer, aber sie hatte doch eine ganz hübsche Figur und trug grüne Uniform, und die war ihr angeboren. Ueberdies behauptete diese Person, daß sie im Lande Aegypten einer sehr alten Familie angehöre, und daß sie dort hochgeschätzt werde. Sie sei gerade vom Felde genommen und in ein Gartenhaus gesetzt worden, welches drei Etagen hoch war, alle aus Kartenfiguren, welche die bunte Seite einwärts kehrten, zusammengeklebt. Da seien sowohl Thüren als Fenster, und zwar im Leibe der Coeurdame, ausgeschnitten. "Ich singe so," sagte sie, "daß sechszehn eingeborene Heimchen, die von klein auf gepfiffen und doch kein Gartenhaus erhalten hatten, sich noch dünner ärgerten, als sie schon waren, wie sie mich hörten!"
Alle Beide, der Floh und die Heuschrecke, thaten so gehörig kund, wer sie waren, und daß sie glaubten, eine Prinzessin heirathen zu können.
Der Springbock sagte nichts; aber man erzählte von ihm, daß er desto mehr dächte; und als der Hofhund ihn blos beschnüffelt hatte, haftete er dafür, daß der Springbock von guter Familie und von dem Brustknochen einer ächten Gans gemacht sei. Der alte Rathsherr, der drei Orden für das Stillschweigen erhalten hatte, versicherte, daß der Springbock mit Weissagungskraft begabt wäre; man könnte an seinen Knochen erkennen, ob man einen milden oder einen strengen Winter bekäme; und das kann man nicht einmal aus den Brustknochen Desjenigen sehen, der den Kalender schreibt.
"Ja, ich sage nun gar nichts!" sagte der alte König, "aber ich gehe nur immer so und denke das Meine!"
Nun war es um den Sprung zu thun. Der Floh sprang so hoch, daß Niemand es sehen konnte; und da behaupteten sie, daß er gar nicht gesprungen hätte. Das war doch nichtswürdig!
Die Heuschrecke sprang nur halb so hoch, aber sie sprang dem Könige gerade ins Gesicht, und da sagte dieser, das wäre häßlich.
Der Springbock stand lange still und bedachte sich; am Ende glaubte man, daß er gar nicht springen könne.
"Wenn ihm nur nicht unwohl geworden ist!" sagte der Hofhund, und dann beschnüffelte er ihn wieder. Rutsch! da sprang er mit einem kleinen schiefen Sprung hin in den Schooß der Prinzessin, welche niedrig auf einem goldenen Schemel saß.
Da sagte der König: "Der höchste Sprung ist der, zu meiner Tochter hinaufzuspringen, denn darin liegt das Feine. Aber es gehört Kopf dazu, darauf zu kommen. Und der Springbock hat gezeigt, daß er Kopf hat."
Und deshalb erhielt er die Prinzessin.
"Ich sprang doch am höchsten!" sagte der Floh. "Aber es ist einerlei! Laß sie nur den Gänseknochen mit Stock und Pech haben! Ich sprang doch am höchsten. Allein es gehört in dieser Welt ein Körper dazu, damit man gesehen werden kann!"
Und darauf ging der Floh in fremde Kriegsdienste, wo er, wie man sagt, erschlagen worden sein soll.
Die Heuschrecke setzte sich draußen in den Graben und dachte darüber nach, wie es eigentlich in der Welt zugehe. Und sie sagte auch: "Körper gehört dazu! Körper gehört dazu!" Und dann sang sie ihr eigenes trübseliges Lied, und daraus haben wir die Geschichte entlehnt, die trotzdem wohl erlogen sein könnte, wenn sie auch gedruckt ist.
Hans Christian Andersen (1805-1875)