Hans Christian Andersen
Sämmtliche Märchen, 1862

Der fliegende Koffer


Es war einmal ein Kaufmann, der war so reich, daß er die ganze Straße und fast noch eine kleine Gasse dazu mit Silbergeld pflastern konnte; aber das that er nicht; er wußte sein Geld anders anzuwenden. Und gab er einen Schilling aus, so bekam er einen Thaler wieder: ein so kluger Kaufmann war er - bis er starb.
Der Sohn bekam nun all dieses Geld, und der lebte lustig, ging jede Nacht zur Maskerade, machte Papierdrachen aus Thalerscheinen und warf Fitschen auf der See mit Goldstücken, anstatt mit einem Steine. Auf diese Weise konnte das Geld schon alle werden, und das wurde es. Zuletzt besaß er nicht mehr als vier Schillinge, und hatte keine andern Kleider als ein Paar Pantoffeln und einen alten Schlafrock. Nun kümmerten sich seine Freunde nicht mehr um ihn, da sie ja nicht zusammen auf die Straße gehen konnten; aber einer von ihnen, der gutmüthig war, sandte ihm einen alten Koffer, mit der Bemerkung: "Packe ein!" Ja, das war nun recht schön, aber er hatte nichts einzupacken; darum setzte er sich selbst in den Koffer.
Das war ein merkwürdiger Koffer. Sobald man an das Schloß drückte, konnte der Koffer fliegen. Er drückte und wips! flog er mit ihm durch den Schornstein hoch über die Wolken hinauf, weiter und weiter fort. So oft aber der Boden ein wenig knackte, war er gar sehr in Angst, daß der Koffer in Stücke gehen möchte, denn alsdann hätte er einen ganz tüchtigen Purzelbaum gemacht - Gott bewahre uns! Auf solche Weise kam er nach dem Lande der Türken. Den Koffer verbarg er im Walde unter den verdorrten Blättern und ging dann in die Stadt hinein. Das konnte er auch ganz gut, denn bei den Türken gingen ja Alle so, wie er: in Schlafrock und Pantoffeln. Da begegnete er einer Amme mit einem kleinen Kinde. "Höre, Du Türkenamme," sagte er; "was ist das für ein großes Schloß hier dicht bei der Stadt, wo die Fenster so hoch sitzen?"
"Da wohnt die Tochter des Königs!" erwiederte sie. "Es ist prophezeit, daß sie über einen Geliebten sehr unglücklich werden würde, und deshalb darf Niemand zu ihr kommen, wenn nicht der König und die Königin mit dabei sind!"
"Ich danke!" sagte der Kaufmannssohn, und so ging er hinaus in den Wald, setzte sich in seinen Koffer, flog auf das Dach und kroch durch das Fenster zur Prinzessin hinein.
Sie lag auf dem Sopha und schlief; sie war so schön, daß der Kaufmannssohn sie küssen mußte. Da erwachte sie und erschrak gewaltig; aber er sagte, er sei der Türkengott, der durch die Luft zu ihr heruntergekommen wäre, und das gefiel ihr.
So saßen sie nebeneinander, und er erzählte ihr Geschichten von ihren Augen: das wären die herrlichsten, dunkeln Seen, und da schwämmen die Gedanken gleich Meerweibchen. Und er erzählte von ihrer Stirn; die wäre ein Schneeberg mit den prächtigsten Sälen und Bildern. Und er erzählte vom Storch, der die lieblichen kleinen Kinder bringt.
Ja, das waren schöne Geschichten! Dann freiete er um die Prinzessin, und sie sagte gleich ja!
"Aber Sie müssen am Sonnabend herkommen!" sagte sie. "Da sind der König und die Königin bei mir zum Thee! Sie werden sehr stolz darauf sein, daß ich den Türkengott bekomme. Aber sehen Sie zu, daß Sie ein recht hübsches Märchen wissen, denn das lieben meine Eltern ganz außerordentlich. Meine Mutter will es moralisch und vornehm, und mein Vater belustigend haben, sodaß man lachen kann!"
"Ja, ich bringe keine andere Morgengabe, als ein Märchen!" sagte er, und so schieden sie. Aber die Prinzessin gab ihm einen Säbel, der war mit Goldstücken besetzt, und die konnte er gerade gebrauchen.
Nun flog er fort, kaufte sich einen neuen Schlafrock und saß dann draußen im Walde und dichtete ein Märchen: das sollte bis zum Sonnabend fertig sein, und es ist doch nicht so leicht.
Er wurde fertig damit, und da war es Sonnabend.
Der König, die Königin und der ganze Hof warteten mit dem Tee bei der Prinzessin. Er wurde sehr nett empfangen!
"Wollen Sie uns nun ein Märchen erzählen?" fragte die Königin, "eins, das tiefsinnig und belehrend ist?"
"Aber worüber man doch lachen kann!" sagte der König.
"Ja wohl!" erwiederte er und erzählte; da muß man nun gut aufpassen.
""Es war einmal ein Bund Schwefelhölzer, die waren so außerordentlich stolz auf ihre hohe Herkunft! Ihr Stammbaum, das heißt: die große Fichte, wovon sie jedes ein kleines Hölzchen waren, war ein großer alter Baum im Walde gewesen. Die Schwefelhölzer lagen nun in der Mitte zwischen einem Feuerzeuge und einem alten eisernen Topfe, und diese erzählten von ihrer Jugend. "Ja, als wir auf dem grünen Zweige waren," sagten sie, "da waren wir wirklich auf dem grünen Zweige! Jeden Morgen und Abend gab es Diamantthee, das war der Thau; den ganzen Tag hatten wir Sonnenschein, wenn die Sonne schien, und alle die kleinen Vögel mußten Geschichten erzählen. Wir konnten wohl merken, daß wir auch reich waren, denn die Laubbäume waren nur im Sommer bekleidet, aber unsere Familie hatte Mittel zu grünen Kleidern sowohl im Sommer wie im Winter. Doch da kam der Holzhauer, das war die große Revolution, und unsere Familie wurde zersplittert. Der Stammherr erhielt eine Stelle als Hauptmast auf einem prächtigen Schiffe, welches die Welt umsegeln konnte, wenn es wollte; die andern Zweige kamen nach andern Orten, und wir haben nun das Amt, der niedrigen Menge das Licht anzuzünden. Deshalb sind wir vornehme Leute hierher in die Küche gekommen."
"Mein Schicksal gestaltete sich auf eine andere Weise," sagte der eiserne Topf, neben welchem die Schwefelhölzer lagen. "Von Anfang an, seit ich in die Welt kam, bin ich viele Mal gescheuert und gekocht worden! Ich sorge für das Solide und bin der Erste hier im Hause. Meine einzige Freude ist so nach Tisch rein und nett an meinem Platze zu liegen und ein vernünftiges Gespräch mit meinen Kameraden zu führen. Doch wenn ich den Wassereimer ausnehme, der hin und wieder einmal nach dem Hof hinunterkommt, so leben wir immer innerhalb unserer vier Wände. Unser einziger Neuigkeitsbote ist der Marktkorb, aber der spricht so unruhig über die Regierung und das Volk; ja, neulich war da ein alter Topf, der vor Schreck darüber niederfiel und sich in Stücke schlug. Der ist liberal, sage ich Euch!"
"Nun sprichst Du zu viel!" fiel das Feuerzeug ein, und der Stahl schlug gegen den Feuerstein, daß es sprühte. "Wollen wir uns nicht einen lustigen Abend machen?"
"Ja, laßt uns davon sprechen, wer der Vornehmste ist!" sagten die Schwefelhölzer.
"Nein, ich liebe es nicht, von mir selbst zu reden," wendete der Topf ein. "Laßt uns eine Abendunterhaltung veranstalten! Ich werde anfangen. Wir werden etwas erzählen, was ein Jeder erlebt hat; da kann man sich so leicht darein finden, und es ist so erfreulich. An der Ostsee bei den dänischen Buchen -"
"Das ist ein hübscher Anfang!" sagten alle Teller. "Das wird sicher eine Geschichte, die uns gefällt."
"Ja, da verlebte ich meine Jugend bei einer stillen Familie; die Möbel wurden gebohnert, der Fußboden gescheuert, und alle vierzehn Tage wurden reine Gardinen aufgehängt!"
"Wie Sie doch so interessant erzählen!" sagte der Kehrbesen. "Man kann gleich hören, daß ein Mann erzählt, der viel mit Frauen in Berührung gekommen ist; es geht so etwas Reines hindurch!"
"Ja, das fühlt man!" sagte der Wassereimer und machte vor Freuden einen kleinen Sprung, sodaß es auf dem Fußboden klatschte.
Und der Topf fuhr fort zu erzählen und das Ende war ebenso gut, als der Anfang.
Alle Teller klapperten vor Freude, und der Kehrbesen zog grüne Petersilie aus dem Sandloche und bekränzte den Topf, denn er wußte, daß es die Andern ärgern würde. "Bekränze ich ihn heute," dachte er, "so bekränzt er mich morgen."
"Nun will ich tanzen!" sagte die Feuerzange und tanzte. Gott bewahre uns, wie konnte sie das eine Bein in die Höhe strecken! Der alte Stuhlüberzug dort im Winkel platzte, als er es sah! "Werde ich nun auch bekränzt?" fragte die Feuerzange, und sie wurde es.
"Das ist doch nur Pöbel!" dachten die Schwefelhölzer.
Nun sollte die Teemaschine singen; aber die sagte, sie habe sich erkältet, sie könne nicht singen, wenn sie nicht koche. Allein das war bloße Vornehmthuerei: sie wollte nicht singen, wenn sie nicht drinnen bei der Herrschaft auf dem Tische stand.
Im Fenster stak eine alte Gänsefeder, mit der das Mädchen zu schreiben pflegte. Es war nichts Bemerkenswerthes an ihr, außer daß sie gar zu tief in die Tinte getaucht worden. Aber darauf war sie stolz. "Will die Teemaschine nicht singen," sagte sie, "so kann sie es bleiben lassen! Draußen hängt eine Nachtigall im Käfig, die kann singen. Die hat zwar nichts gelernt, aber das wollen wir diesen Abend dahin gestellt sein lassen!"
"Ich finde es höchst unpassend," sagte der Teekessel - er war Küchensänger und Halbbruder der Theemaschine - "daß ein solcher fremder Vogel gehört werden soll! Ist das patriotisch? Der Marktkorb mag darüber richten!"
"Ich ärgere mich nur!" sagte der Marktkorb; "ich ärgere mich innerlich so, daß Niemand sich es denken kann! Ist das eine passende Art, den Abend hinzubringen? Würde es nicht vernünftiger sein, das Haus zurechtzusetzen? Ein Jeder müßte auf seinen Platz kommen, und ich würde das ganze Spiel leiten. Das würde etwas Anderes werden!"
"Ja, laßt uns Spektakel machen!" sagten Alle. Da ging die Türe auf. Es war das Dienstmädchen, und da standen sie stille. Keiner muckste! Aber da war nicht ein einziger Topf, der nicht gewußt hätte, was er zu tun vermöge und wie vornehm er sei. "Ja, wenn ich gewollt hätte," dachte Jeder, "so hätte es ein recht lustiger Abend werden sollen!"
Das Dienstmädchen nahm die Schwefelhölzer und machte Feuer damit an. - Gott bewahr' uns, wie die sprühten und in Flammen geriethen!
"Nun kann doch Jeder," dachten sie, "sehen, daß wir die Ersten sind! Welchen Glanz haben wir! Welches Licht!" - Und damit waren sie verbrannt.""
"Das war ein herrliches Märchen!" sagte die Königin. "Ich fühlte mich so ganz in die Küche versetzt zu den Schwefelhölzern. Ja, nun sollst Du unsere Tochter haben."
"Ja wohl!" sagte der König; "Du sollst unsere Tochter am Montage haben!" Denn nun sagten sie "Du" zu ihm, da er zur Familie gehören sollte.
Die Hochzeit war nun bestimmt, und am Abend vorher wurde die ganze Stadt illuminirt. Zwieback und Brezeln wurden unter das Volk geworfen; die Straßenbuben standen auf den Zehen, riefen Hurrah und pfiffen auf den Fingern; es war außerordentlich prachtvoll.
"Ja, ich werde wohl auch Etwas zum Besten geben müssen!" dachte der Kaufmannssohn. Und so kaufte er Raketen, Knallerbsen und alles Feuerwerk, was man erdenken konnte, legte es in seinen Koffer und flog damit in die Luft.
Rutsch, wie das ging und wie das puffte!
Alle Türken hüpften dabei in die Höhe, daß ihnen die Pantoffeln um die Ohren flogen; eine solche Lufterscheinung hatten sie noch nie gesehen. Nun konnten sie begreifen, daß es der Türkengott selbst war, der die Prinzessin haben sollte.
Sobald der Kaufmannssohn wieder mit seinem Koffer herunter in den Wald kam, dachte er: "Ich will doch in die Stadt hineingehen, um zu erfahren, wie es sich ausgenommen hat!" Und es war ganz natürlich, daß er Lust dazu hatte.
Nein, was doch die Leute erzählten! Ein Jeder, den er danach fragte, hatte es auf seine Weise gesehen; aber schön hatten es Alle gefunden.
"Ich sah den Türkengott selbst," sagte der Eine. "Er hatte Augen, wie glänzende Sterne, und einen Bart, wie schäumende Wasser!" "Er flog in einem Feuermantel," sagte ein Anderer. "Die lieblichsten Engelskinder blickten aus den Falten hervor!"
Ja, das waren herrliche Sachen, die er hörte, und am folgenden Tage sollte er Hochzeit machen.
Nun ging er in den Wald zurück, um sich in seinen Koffer zu setzen - aber wo war der? Der Koffer war verbrannt. Ein Funken des Feuerwerks war zurückgeblieben, der hatte Feuer gefangen, und der Koffer lag in Asche. Er konnte nicht mehr fliegen, nicht mehr zu seiner Braut gelangen.
Sie stand den ganzen Tag auf dem Dache und wartete; sie wartet wahrscheinlich noch. Er aber durchwandert die Welt und erzählt Märchen, doch sind sie nicht mehr so lustig, wie das, welches er von den Schwefelhölzern erzählte.

Hans Christian Andersen (1805-1875)